Sieben Kernreaktoren, verteilt über ganz Spanien, sollen ab 2027 schrittweise abgeschaltet werden. An ihre Stelle könnte ein einziges Kraftwerk treten, das dieselbe Strommenge liefert, jedoch mit einem exponentiell geringeren Strahlungsrisiko. Diese Vision basiert auf der Kernfusion, einer Technologie, die sich grundlegend von der heutigen Kernspaltung unterscheidet und an der weltweit rund dreißig Länder forschen, obwohl der Weg dorthin noch mit Hürden gepflastert ist. Spanien beteiligt sich nun mit dem Rodas-Projekt an dieser Entwicklung. Ein Konsortium spanischer Unternehmen und Forschungszentren arbeitet darin an fortschrittlichen Fertigungstechnologien für kritische Komponenten von Fusionsreaktoren. Sollten die Erwartungen erfüllt werden, könnte der Bau solcher Anlagen ab 2050 beginnen.
Die heutige Kernenergie basiert auf der Kernspaltung – der Trennung von Atomkernen. Die Kernfusion hingegen ist der umgekehrte Prozess: Wasserstoffisotope verschmelzen zu Helium. Der dabei entstehende Massenverlust wird in nahezu unbegrenzte Energie umgewandelt, die auch als „Energie der Sterne“ bezeichnet wird. Praktisch bedeutet dies, dieselbe oder sogar mehr Energie wie bei der Kernspaltung zu erzeugen, jedoch mit einem deutlich geringeren, von Forschern als „praktisch nicht vorhanden“ eingestuften Strahlungsrisiko.
Ein Unfall wie in Tschernobyl, ausgelöst durch eine Kettenreaktion, wäre bei der Kernfusion ausgeschlossen. „Es gibt praktisch kein Strahlungsproblem. Anwohner eines Fusionskraftwerks wären im Falle eines Unfalls keiner erhöhten Strahlung ausgesetzt. Betroffen wären allenfalls Personen innerhalb der Anlage“, erklärt Andrés Hernando, CEO und Gründer von Hiberaric, einem der am Rodas-Projekt beteiligten Unternehmen.
„Dank ihrer Sicherheit und der nahezu unerschöpflichen Ressourcenverfügbarkeit gilt die Kernfusion als eine der vielversprechendsten Lösungen für die Zukunft“, erklärte Nerea Ordás, Direktorin für Additive Fertigung am CEIT-Technologiezentrum, kürzlich in einer Online-Pressekonferenz.
Ein zentrales Kraftwerk für ganz Spanien
Das Rodas-Projekt ist Spaniens Beitrag zur Erforschung der Kernfusion, bei der das Vereinigte Königreich und insbesondere China – mit eigenen Regeln – bereits Fortschritte erzielt haben. Unter der Leitung des Zentrums für Energie-, Umwelt- und Technologieforschung (CIEMAT) arbeiten die Universität Granada sowie die Unternehmen Leading, Hiperbaric, die IDONAL Foundation, Innomaq21, Novadep NDT Systems und Rovalma zusammen.
Neben dem minimalen Strahlungsrisiko und der nahezu unbegrenzten Energiequelle bietet die Kernfusion einen weiteren Vorteil: Es wären deutlich weniger Kraftwerke nötig als heute. So könnte ein einziges Fusionskraftwerk die sieben spanischen Kernreaktoren in fünf Atomkraftwerken ersetzen. In Frankreich, wo über hundert Reaktoren in Betrieb sind, wären lediglich zwei oder drei Fusionskraftwerke erforderlich.
Die Forschung zur Energiegewinnung durch Kernfusion ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass erstmals seit Jahrzehnten die Möglichkeit besteht, die Realisierung dieser Technologie zu beschleunigen. Lange Zeit ging man von einer Entwicklungszeit von 50 Jahren aus. Diese Prognose hat sich nun verkürzt, und der Bau erster Fusionskraftwerke ab 2050 erscheint realistisch. Bis zur Inbetriebnahme dürften weitere 15 bis 20 Jahre vergehen. Es bleibt also ein langfristiges Projekt, doch Menschen mittleren Alters könnten die Früchte dieser Forschung noch erleben.
Voraussetzung für die Realisierung der Kernfusion ist die Entwicklung geeigneter Technologien und hochbeständiger Materialien. Hier setzt das Rodas-Projekt an. Für die vierjährige Laufzeit werden jährlich rund 2,5 Millionen Euro benötigt. Bisher stehen 7,78 Millionen Euro zur Verfügung, davon 5,64 Millionen Euro vom Wissenschaftsministerium Ende letzten Jahres. Damit unterstützt die spanische Regierung die EU-weiten Bemühungen zur Förderung der Kernfusion. Der kürzlich von der Europäischen Kommission verabschiedete Pakt für eine grüne Industrie sieht zwischen 2026 und 2027 Fördermittel in Höhe von 600 Millionen Euro für „die nächste Generation sauberer Energie und Technologien“ vor, einschließlich der Kernfusion. Die Europäische Kommission betrachtet die Kernfusion als „innovative und dekarbonisierte Energiequelle für die Zukunft“ und plant öffentlich-private Partnerschaften, um die Kommerzialisierung zu beschleunigen.
Materialbeständigkeit und Tests im ITER
Das Rodas-Projekt ist bereits eine solche Kooperation zwischen öffentlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen. Es steht jedoch vor erheblichen Herausforderungen, die sich aus der Komplexität der Entwicklung hochbeständiger – und teurer – Materialien ergeben.
Derzeit bestünden „gravierende technische Hürden“, erklärt Nacho Cobos, Forschungs- und Entwicklungsdirektor bei Leading, einem weiteren Unternehmen des Rodas-Projekts. Diese hätten mit den Materialien und der Notwendigkeit zu tun, „Technologien zu entwickeln, die nahezu unmöglich herzustellen sind“.
Ein Fusionsreaktor erzeugt Temperaturen von Millionen Grad. Diese Hitze und Strahlung erfordern hochleistungsfähige Materialien und komplexe Technologien. Das Rodas-Projekt konzentriert sich dabei auf die additive Fertigung in Kombination mit Verfahren wie dem heißisostatischen Pressen (HIP).
Eine weitere Schwierigkeit liegt in den Testverfahren. Es gibt noch keinen Fusionsreaktor mit ausreichender Leistung, um das Materialverhalten unter realen Bedingungen zu untersuchen. Es existieren jedoch Anlagen, in denen diese Bedingungen simuliert werden können. Einige befinden sich in den Vereinigten Staaten, wohin Material aus Europa zur Analyse geschickt wird. Das Rodas-Projekt nutzt auch experimentelle Einrichtungen wie den Neutronenbeschleuniger, der in Granada in Zusammenarbeit zwischen dem CIEMAT und der Universität Granada gebaut wird. Die Ergebnisse müssen jedoch noch „überprüft“ werden. Zu diesem Zweck wird das Rodas-Projekt auch auf den Internationalen Thermonuklearen Versuchsreaktor (ITER) in Cadarache (Frankreich) zurückgreifen.
„Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Energieform rentabel sein wird, insbesondere angesichts des künftig steigenden Energiebedarfs“, sagt Cobos trotz der Herausforderungen.
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