Der stetige Migrationsstrom auf die Kanarischen Inseln führt zu einem beschleunigten Bevölkerungswachstum und verändert das soziokulturelle Gefüge des Archipels. In einigen Gemeinden stellen Zugewanderte bereits die Mehrheit, was drängende Fragen aufwirft: Kann eine kollektive Identität fortbestehen, wenn ihre demografische Basis erodiert?
Laut aktuellen Daten des Kanarischen Statistikinstituts (Istac) ist fast jeder Fünfte auf den Inseln im Ausland geboren. Die Regionalregierung befasst sich zwar mit Studien und Kommissionen zu dieser demografischen Herausforderung, konkrete Maßnahmen zur Steuerung des Bevölkerungswachstums in diesem fragilen Ökosystem fehlen jedoch bislang.
Die im Januar 2024 veröffentlichten Istac-Daten bestätigen den anhaltenden Bevölkerungstrend: Der Anteil der im Ausland Geborenen steigt. In vier der 88 Gemeinden des Archipels stellen sie bereits die Mehrheit. Insgesamt sind 22,6 % der Inselbevölkerung – und damit fast jeder Fünfte – im Ausland geboren. Das entspricht einem Anstieg von 5,8 % im Vergleich zum Vorjahr.
Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung stammen die meisten Zugewanderten nicht aus Afrika, sondern aus Amerika. Insbesondere Venezolaner, Kubaner und Kolumbianer prägen das Bild. Allein die Zahl der Venezolaner stieg 2024 um 5.596 auf insgesamt 82.890 Personen. Die zweitgrößte Gruppe kommt aus Europa, angeführt von den Italienern mit 43.390 Einwohnern.
Gran Canaria weist mit unter 16 % den geringsten Ausländeranteil auf. Fuerteventura hingegen verzeichnet fast 40 % – vier von zehn Einwohnern sind dort nicht in Spanien geboren. Es folgen Lanzarote (über 33 %), El Hierro (30,5 %), La Gomera (25,4 %), Teneriffa (24,7 %) und La Palma (22,6 %).
Fuerteventura: Ein Beispiel
Fuerteventura und Lanzarote verzeichneten in den letzten 25 Jahren das stärkste Bevölkerungswachstum. Gleichzeitig lebt auf Fuerteventura der geringste Anteil an Einheimischen: Nur 33,4 % der Bevölkerung sind auf den Inseln geboren. Fast 40 % stammen aus dem Ausland und 15,6 % aus anderen spanischen Regionen. Beide Werte sind die höchsten im Archipel.
In der Gemeinde La Oliva (Norden Fuerteventuras) stellen Ausländer mit 50,74 % die Mehrheit. Ähnlich verhält es sich in Adeje (56,52 %), Arona (51,8 %) und Santiago del Teide (51,5 %). Zwei der drei Gemeinden mit dem stärksten Bevölkerungswachstum in Spanien 2024 liegen auf den Kanaren: Arrecife (5,1 %) und Granadilla de Abona (3,9 %).
Die Einwohnerzahl Fuerteventuras stieg laut Istac bis Ende 2024 um fast 3.000 Personen (2,4 %) auf 127.043. Nur Betancuria verzeichnete einen minimalen Rückgang. Im Vergleich zum Jahr 2000 (knapp 60.000 Einwohner) hat sich die Bevölkerung in 25 Jahren mehr als verdoppelt.
Teneriffa verzeichnete den größten absoluten Bevölkerungszuwachs (10.374), gefolgt von Gran Canaria (7.091), Lanzarote (4.432), Fuerteventura (2.524), La Palma (1.044), La Gomera (146) und El Hierro (127). Relativ betrachtet wuchsen Lanzarote (2,8 %) und Fuerteventura (2 %) am stärksten. Es folgten La Palma (1,2 %), El Hierro und Teneriffa (je 1,1 %), Gran Canaria (0,8 %) und La Gomera (0,7 %).
Reaktion der Regierung
Das anhaltende Bevölkerungswachstum belastet die Infrastruktur der Inseln: Öffentliche Dienstleistungen, Straßen, Abfallwirtschaft, Wasser- und Energieversorgung sowie der Wohnungsmarkt sind überlastet. Die Situation verschärft die bestehende Armut und soziale Ausgrenzung.
Trotz der anhaltenden Debatte über die demografische Herausforderung wurden bisher keine konkreten Maßnahmen ergriffen. Zwei parlamentarische Kommissionen haben sich mit dem Thema befasst und Experten angehört. Die Ergebnisse der letzten Kommission (Juni 2024) betonten die Notwendigkeit langfristiger Planung (40-50 Jahre) und einer differenzierten Inselstrategie. Konkrete Maßnahmen wurden jedoch nicht formuliert.
Im Februar 2025 verabschiedete die Kommission eine Stellungnahme, die unter anderem eine differenzierte Inselplanung, Bürokratieabbau, Wohnungsbau und Maßnahmen zur Steuerung des Bevölkerungswachstums auf den Hauptinseln vorsieht. Konkrete Maßnahmen fehlen jedoch weiterhin. Die Stellungnahme erkennt das “unkontrollierte” Wachstum an (575.000 Personen seit 2000, insgesamt über 2,25 Millionen im Jahr 2024) und hinterfragt, wie viele Menschen die Inseln unter welchen Bedingungen aufnehmen sollen.
Zusätzlich zu den Kommissionen kündigte die Regierung im Februar 2025 eine weitere Studiengruppe an, bestehend aus Vertretern der Regionalregierung, Gemeinden, Universitäten, Experten, Wirtschaft und Gewerkschaften. Eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums wird jedoch abgelehnt. Stattdessen soll die Bevölkerung durch die Förderung ländlicher Gebiete gleichmäßiger verteilt werden.
Während die Regierung auf ländliche Gebiete fokussiert, plädiert Luis Jerez Darias, Professor für regionale Geographie an der Universität La Laguna, für einen Fokus auf die stark wachsenden Städte und Touristenzentren. Er betont die “Anziehungskraft” der Inseln für Migration und Tourismus und fordert neben der Förderung grüner Inseln auch eine Begrenzung des Wachstums auf den am stärksten betroffenen Inseln. Er sieht die Notwendigkeit einer umfassenden Analyse und “transversaler” Maßnahmen, die über den ländlichen Raum hinausgehen und das tourismusbasierte Wirtschaftsmodell der Inseln hinterfragen.
Das leere Versprechen: Beschränkung des Immobilienkaufs durch Ausländer
Die Beschränkung des Immobilienkaufs durch Ausländer wurde im April 2024 während Protesten gegen das tourismusbasierte Entwicklungsmodell gefordert. Regionalpräsident Clavijo griff die Forderung auf und kündigte im Mai juristische Prüfungen an, um die Möglichkeit einer solchen Beschränkung mit der EU zu diskutieren. Ironischerweise stimmten zwei Wochen zuvor alle Regierungsparteien gegen einen entsprechenden Antrag von NC-BC. Im März 2025 wiederholte Clavijo die Ankündigung, als wäre sie neu. Die Umsetzung bleibt abzuwarten.
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