Erinnern Sie sich an Minority Report? In Steven Spielbergs Science-Fiction-Film von 2002, der im Jahr 2054 spielt, konnte die Polizei Mörder verhaften, bevor sie ihre Verbrechen begingen. Ein ausgeklügeltes System, bedient von Tom Cruise, sagte die Zukunft voraus und ermöglichte so die Festnahme des Täters, noch bevor ein Verbrechen überhaupt stattgefunden hatte.
Borja Ibáñez verfolgt ein ähnliches Ziel. Anstatt Verbrechen will der Wissenschaftler vom Nationalen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (CNIC) Herzinfarkte, Schlaganfälle und plötzliche Todesfälle verhindern – lange bevor sie eintreten. Er möchte diesen Ereignissen Jahrzehnte vorgreifen und sie bereits im Entstehen bekämpfen, ganz so, wie im Film das Böse im Keim erstickt wird.
Ein Herzinfarkt erscheint oft plötzlich und unerwartet. Tatsächlich ist dieser verheerende Vorfall jedoch nur der Höhepunkt eines jahrelang schwelenden Problems. Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln sich schleichend und tückisch. Während äußerlich alles in Ordnung scheint, lagern sich an den Arterienwänden allmählich Fettplaques und Entzündungsstoffe ab – ein Prozess namens Arteriosklerose –, die die Blutgefäße immer weiter verengen. Ist die Arterie schließlich vollständig verstopft, manifestiert sich die Krankheit in Form von Angina Pectoris, Herzinfarkt, Schlaganfall oder plötzlichem Herztod. Und dann ist es oft zu spät für wirksame Maßnahmen.
Genau das will Ibáñez ändern.
„Arteriosklerose beginnt häufig schon früh im Leben und schreitet über Jahrzehnte unbemerkt voran. Die Diagnose und Behandlung erfolgt jedoch meist erst spät, wenn die Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist und klinische Symptome auftreten“, erklärt Ibáñez, wissenschaftlicher Direktor des CNIC und Kardiologe am Krankenhaus der Stiftung Jiménez Díaz in Madrid.
„Die aktuellen klinischen Leitlinien empfehlen die Untersuchung und Behandlung von Arteriosklerose vor allem bei Menschen über 40, in der Regel nach langjähriger Exposition gegenüber Risikofaktoren wie hohem Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, Rauchen oder Übergewicht. Diese Präventionsstrategie ist jedoch nicht effektiv. Wir brauchen einen neuen Ansatz“, so Ibáñez weiter. Er leitet ein Projekt, das Herzinfarkte und Schlaganfälle durch die frühzeitige Erkennung und Behandlung der Arteriosklerose in ihrem stillen Stadium vorhersagbar machen soll.
„Wenn die Schädigung frühzeitig durch bildgebende Verfahren wie Ultraschall erkannt wird, insbesondere in den Jahren, in denen die Person am anfälligsten für die Entwicklung von Arteriosklerose ist, können wir ihr Fortschreiten verlangsamen und die Erkrankung möglicherweise sogar rückgängig machen“, erklärt der Forscher. Zu diesem Zweck hat er das REACT-Projekt ins Leben gerufen, eine ambitionierte internationale Studie, die die notwendigen Daten liefern soll, um die kardiovaskuläre Prävention grundlegend zu verändern und auf frühzeitiges Handeln auszurichten.
Die am CNIC und am Rigshospitalet in Kopenhagen durchgeführte Studie wird voraussichtlich acht Jahre dauern und ist in zwei Phasen unterteilt. Die erste Phase, DETECT, wird von der Novo Nordisk Foundation mit 23 Millionen Euro gefördert und hat bereits begonnen. Das Team rekrutiert derzeit 8.000 Personen in Spanien und weitere 8.000 in Dänemark (jeweils zur Hälfte Frauen und Männer) im Alter zwischen 18 und 69 Jahren aus allen sozioökonomischen Schichten. Einige Freiwillige nehmen dank der Zusammenarbeit zwischen dem CNIC und der Banco Santander, die bereits in der Vergangenheit bei Projekten zur kardiovaskulären Prävention kooperiert haben, an der Studie teil. Die Studie steht jedoch allen Interessierten offen. Einziger Ausschlussgrund ist eine bereits bestehende Herz-Kreislauf-Erkrankung.
„Das Hauptziel dieser Phase ist es, die Prävalenz der stillen Arteriosklerose in den verschiedenen Altersgruppen zu ermitteln“, erklärt Ibáñez. Sein Team will außerdem anhand der gewonnenen Daten einen Risikobewertungsalgorithmus – eine Art Gefahrenrechner – entwickeln, um die Personen mit dem höchsten Risiko zu identifizieren und engmaschiger zu überwachen.
Die Teilnehmer dieser ersten Phase, unterziehen sich einer umfassenden Reihe von Tests, um die Arteriosklerose, die damit verbundenen Faktoren und ihr mögliches Vorhandensein in jungen Jahren mittels bildgebender Verfahren besser zu verstehen.
Die Studie am eigenen Leib:
An einem Donnerstag im Januar erschien der Autor dieses Textes nüchtern zum Untersuchungstermin. Die Frage, die ihn beschäftigte: Wie gesund sind meine Arterien? Ohne lange zu zögern, begannen die Tests mit einer körperlichen Untersuchung sowie einer Urin- und Blutprobe. Ein Teil der Blutprobe wird mit Einverständnis der Teilnehmer für Genomik-, Transkriptomik-, Proteomik-, Metabolomik- und Epigenomik-Studien verwendet, um neue Risikomarker zu finden. „Es wird nicht viel Blut abgenommen“, beruhigte Marta Carrasquet, die Krankenschwester, die für die ersten Analysen zuständig ist. „63 Milliliter, ungefähr so viel wie ein Schnapsglas“, präzisierte sie, während sie gekonnt die Vene punktierte. Sie selbst wolle sich auch für die Studie anmelden, sobald sie Zeit habe, um einen Beitrag zur Forschung zu leisten.
Während das Blut ins Röhrchen floss, kam unweigerlich der Gedanke auf, dass vielleicht gerade jetzt eine Herz-Kreislauf-Erkrankung im Körper ihr Unwesen treibt. Dasselbe Gefühl stellte sich später bei der Ultraschalluntersuchung ein, erst bei den Halsschlagadern, die das Gehirn versorgen, dann bei den Oberschenkelarterien, die für die Blutversorgung der Beine zuständig sind. „Alles sauber“, verkündete die Ärztin. Erleichterung machte sich breit.
Nach dem Ultraschall folgte die Computertomographie, ein Verfahren, das Röntgenstrahlen verwendet, um verkalkte Arteriosklerose-Plaques in den Herzkranzgefäßen zu erkennen. „Halten Sie bitte für einige Sekunden den Atem an, während die Bilder aufgenommen werden“, wies das Gerät an. Und wie lang diese Sekunden doch sein konnten! Zum Schluss stand noch ein letzter Test an, dem nur 50% der Studienteilnehmer unterzogen werden: eine Computertomographie-Angiographie, die die Lipidschicht der Arterien sichtbar macht, um beginnende Läsionen zu beurteilen. Dafür musste ein jodhaltiges Kontrastmittel intravenös verabreicht werden, das ein kurzes, aber intensives Hitzegefühl und einen metallischen Geschmack im Mund verursachte.
Um die Bilder der Herzkranzgefäße optimal beurteilen zu können, erklärte Kardiologe und Studienarzt Carlos Nicolás, sei es notwendig, Betablocker zur Senkung der Herzfrequenz und Nitroglycerin-Spray unter die Zunge zu verabreichen, um die Gefäße zu erweitern. Letzteres hinterließ einen bitteren Geschmack. „Scheint alles in Ordnung zu sein, aber wir müssen die Daten noch im Detail analysieren“, erklärte er anschließend.
Die Daten aller 16.000 Teilnehmer werden dazu beitragen, die stille Prävalenz der Arteriosklerose zu bestimmen und einen Risikorechner zu entwickeln, der anzeigt, wann ein Gefäßultraschall sinnvoll ist. Anschließend startet Phase 2 der Studie, die untersucht, ob frühzeitig angewandte, personalisierte medizinische Ansätze das Fortschreiten der Arteriosklerose stoppen oder sogar umkehren können.
„Wir glauben, dass wir durch frühzeitiges Eingreifen mit personalisierter Medizin, die sich an bildgebenden Verfahren orientiert und Änderungen des Lebensstils sowie pharmakologische und nicht-pharmakologische Behandlungen umfasst, die Belastung durch arteriosklerotische Plaques so weit reduzieren können, dass eine Heilung erreicht wird“, sagt Ibáñez. Er möchte auch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung der frühzeitigen Bekämpfung von Arteriosklerose schärfen, um die Epidemie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzudämmen.
„Wir wollen die Menschen davon überzeugen, dass es sich um eine stille Erkrankung handelt, die langfristig zu schweren Problemen führen kann, wenn nicht frühzeitig eingegriffen wird. Die Krankheit manifestiert sich meist erst im Alter von 50 oder 60 Jahren, aber diese Manifestation ist die Folge der vorangegangenen 30 oder 40 Jahre, in denen man Risikofaktoren ausgesetzt war, ohne sie zu kontrollieren – gerade dann, wenn man am anfälligsten für ihre Auswirkungen ist“, erklärt der Forscher. Die Ultraschalluntersuchung sei entscheidend, da sie den Zustand der Arterien unabhängig von Risikofaktoren wie Cholesterin oder Blutdruck zeige.
Parallel dazu arbeitet das Team an der Entwicklung eines KI-gestützten Ultraschallgeräts, das es auch nicht-spezialisiertem Personal ermöglicht, Screenings auf stille Arteriosklerose durchzuführen.
„Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache, und die Zahlen steigen trotz der Fortschritte in der Behandlung weiter an. Wor
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