
In den tiefen Rissen der Geschichte verbergen sich oft nicht die großen Namen der Schlachten, sondern die stille Komplizenschaft von Häfen, Unternehmen und Menschen. Gran Canaria, eine Insel, die scheinbar friedlich unter der ewigen Sonne am Meer schaukelt, wurde zum Rückgrat eines tödlichen Netzwerks aus Spionage und Krieg. Geschützt nicht durch offene Gewalt, sondern durch einen ungeschriebenen Pakt, erlaubte es den “Seelöwen”, den gefürchteten Nazi-U-Booten, hier Schutz und Nachschub zu finden. Während im Atlantik Menschenleben versanken, schrieb eine Reederei, die Woermann-Linie, ihren Namen mit unsichtbarer Tinte in das Blut eines Jahrhunderts.
Las Palmas: Ein strategischer Knotenpunkt für die Kriegsmaschinerie
Noch bevor der Spanische Bürgerkrieg beendet war, agierte Franco de facto als höchste Autorität auf den Kanarischen Inseln. Ab 1937 verstärkte sich die deutsche Präsenz in Las Palmas signifikant. Katapultschiffe wie die “Friesenland” und die “Ostmark” waren bereits vor Kriegsausbruch vor Ort und führten Belagerungserprobungen sowie Lufteinsätze mit Wasserflugzeugen der Typen He 111, Do 18 und Ju 86 durch. Las Palmas verwandelte sich in einen entscheidenden Vorbereitungs- und Nachschubpunkt für die Deutsche Lufthansa, die Luftwaffe und die Kriegsmarine.
Die Woermann-Linie, unter der Führung von John T. Essberger – einem Mann, dessen Position nach Hitlers Machtergreifung gestärkt wurde – und seine Gruppe der Deutschen Afrika-Linien, übernahmen die komplette logistische Versorgung der deutschen Flotte. Ihr Hauptsitz in Las Palmas, strategisch gegenüber dem deutschen Konsulat gelegen, war ein beeindruckender Komplex mit Lagerhallen, Reparaturwerkstätten, einer Gießerei, einer Slipanlage und einem Kohledepot. Der regime-treue Direktor Walter Vogel meldete den Bedarf direkt an die Hamburger Zentrale, während ein Netzwerk aus Managern und Agenten, darunter Alfred M. Friedrich Oehrens und die spanisch-deutsche Gesellschaft Hisma Ltda, die Operationen vor Ort reibungslos am Laufen hielt.
Ein ausgeklügeltes Spionagenetzwerk im Atlantik
Die deutsche Präsenz manifestierte sich auf den Kanarischen Inseln durch ein hochentwickeltes Geheimdienstnetz, das einen lückenlosen Überwachungsapparat im Mittelatlantik bildete. Eine zentrale Rolle spielte das “Plankert-Schema”, das sich auf die Überwachung der Kommunikation und die Verfolgung des Seeverkehrs konzentrierte. Von Las Palmas aus koordinierten die Deutschen Heinrich Mauer, Kurt Karl Soeder und Arthur Gebauer die Sammlung und Analyse kriegswichtiger Daten. Am berühmten Strand von Las Canteras erwarb das Nazi-Regime sogar Häuser, um Schiffe, die den Kanal zwischen den Inseln passierten, unbemerkt zu beobachten.
Parallel dazu operierte im Rahmen der “Etappen-Organisation” eine Abteilung für Marineaufklärung. Ihr Ziel war die Beschaffung strategischer Informationen für den U-Boot-Krieg. Hafenbeobachtungen, die Verfolgung von Konvoibewegungen und detaillierte Wetterberichte wurden zusammengeführt, um die Effektivität der Angriffe der “Wolfsrudel” im Atlantik zu maximieren. Durch diese duale Struktur wurde Las Palmas zum Nervenzentrum der deutschen Seespionage.
“Wolfsrudel”: U-Boot-Operationen und ihre blutigen Verluste
Zwischen 1939 und 1944 diente Las Palmas unzähligen U-Booten, Flugzeugen und Schiffen als unverzichtbare Versorgungsbasis. Doch die Alliierten schlugen zurück. Einer der empfindlichsten Verluste war U-543, das am 2. Juli 1944 südwestlich der Kanaren von einem Flugzeug des US-Flugzeugträgers USS Wake Island versenkt wurde.
Ein entscheidendes Ereignis war die Kaperung von U-505 am 4. Juni 1944. Mit diesem U-Boot fiel den Alliierten eine intakte Enigma-Maschine in die Hände, was das britische Monopol auf die Entschlüsselung deutscher Nachrichten brach. Das U-Boot ist heute ein eindrucksvolles Exponat im Museum of Science and Industry in Chicago.
Die Liste der vor den Kanaren und Madeira versenkten U-Boote ist lang: U-131, U-135, U-167 (vor Gran Canaria selbst versenkt), U-524 und U-549. Bereits im Juli 1941 protestierte die britische Regierung in Madrid formell gegen die Versorgung der “Wolfsrudel” durch die Woermann-Linie. Der Protest war begründet: U-103 versenkte nach seiner Versorgung in Las Palmas durch den Dampfer “Corrientes” sieben alliierte Schiffe vor der afrikanischen Küste.
Der Hafen von Las Palmas trägt bis heute eine unsichtbare Narbe. Sie erinnert an eine Zeit, in der man glaubte, das Schicksal der Welt ließe sich zwischen Lagerhäusern und Schiffen entscheiden, die am Horizont verschwanden und nie zurückkehrten. Doch das Meer vergisst nicht. Jeder Name, jedes Datum und jede Koordinate ist ein Geist der Vergangenheit, der uns mahnt, dass kein Krieg, so fern er auch scheinen mag, am Ende etwas anderes ist als eine menschliche Tragödie.
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