Die Aussage, dass ein jährliches Einkommen von 250.000 Euro in Madrid kein “gutes Leben” bedeute, hat in Spanien für hitzige Diskussionen gesorgt. Diese provokante These, aufgestellt von Professor Jesús Fernández-Villaverde auf X (ehemals Twitter), verdeutlicht die tiefen Kluften in der Wahrnehmung von Wohlstand und Lebensqualität innerhalb der Gesellschaft. Für viele, die mit deutlich weniger auskommen, erscheint diese Summe als unvorstellbarer Reichtum, während sie aus der Perspektive des Professors lediglich “wirtschaftliche Mittelmäßigkeit” repräsentiert.
Eine Frage der Perspektive: Armut, Resignation oder Reichtum?
Die erste Reaktion auf Professor Fernández-Villaverdes Aussage war bei vielen Empörung. Wer mit einem Bruchteil dieser Summe auskommt, ein Dach über dem Kopf und einen vollen Kühlschrank hat, empfindet dies keineswegs als schlechtes Leben. Vielmehr reflektiert die Empörung die weit verbreitete Haltung der Arbeiter- und Mittelschicht, die gelernt hat, mit dem auszukommen, was sie hat, und sich oft nach unten orientiert, um das Schlimmste zu vermeiden.
Der Professor, der seit Mitte der 90er-Jahre in den USA lebt und lehrt, blickt aus einer anderen Warte auf die Dinge. Seine Argumentation richtet sich weniger an die breite Bevölkerungsschicht, sondern vielmehr an die spanische Oberschicht, der er eine gewisse Genügsamkeit und das Fehlen von Ambitionen vorwirft, die in anderen Ländern, insbesondere den USA, gang und gäbe sind. Er spricht von reichen Leuten aus der Sicht eines Reichen, für den ein Einkommen von 250.000 Euro nur ein Bruchteil dessen ist, was die amerikanische Elite als “reich” definieren würde.
Spaniens “ärmste Reiche der Welt”: Eine Analyse der Einkommensschere
Fernández-Villaverde zitiert in seiner Argumentation den Artikel von John Müller, der beklagt, dass es in Spanien weder hohe Einkommen noch solide Durchschnittseinkommen oder weit verbreiteten Wohlstand gebe. Stattdessen konzentrierten sich staatliche Maßnahmen wie das existenzsichernde Mindesteinkommen oder die stetige Revision des Mindestlohns darauf, ein Auseinanderfallen der Niedriglöhne zu verhindern. Obwohl die Nominallöhne in den letzten Jahren gestiegen sind, hat die Kaufkraft seit 2019 um 1,9 % abgenommen. Dies untermauert die These, dass Spanien, im globalen Vergleich, ein Land mit den “ärmsten Reichen der Welt” ist.
Die Debatte offenbart die immense Kluft zwischen der kleinen Spitze der spanischen Gesellschaft und der breiten Masse der Bevölkerung. Laut OCU haben 63 Prozent der Spanier Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Diese Diskrepanz ist nicht nur eine des Einkommens, sondern auch eine der Lebensphilosophie und der Erwartungen. Während die Oberschicht nach oben schaut und sich mit globalen Eliten misst, schaut die Arbeiter- und Mittelschicht nach unten, auf die Möglichkeit des sozialen Abstiegs.
Die spanische Mittelklasse: Bescheidenheit als Lebensart
Die Denkweise der spanischen Mittelklasse, die sich in der Empörung über die Aussage des Professors widerspiegelt, unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Ländern. Während in England die Mittelklasse ihre Kinder auf Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge schickt, geht es in Spanien darum, eine bezahlbare Schule zu finden oder höchstens zwei Immobilien zu besitzen. Es ist eine Mentalität, die sich an der unmittelbaren Realität orientiert und oft näher am Abgrund als am Gipfel ist.
Für viele Spanier bedeutet ein “gutes Leben” nicht luxuriöse Reisen nach Asien oder Übernachtungen in High-End-Hotels. Es bedeutet, ein Dach über dem Kopf zu haben, einen vollen Kühlschrank, ausreichend Freizeit und die Möglichkeit, sich kleinere Freuden zu leisten. Die Aufstiegsmobilität war in Spanien nie so ausgeprägt wie in anderen Ländern, was zu einer gewissen Senkung der Erwartungen geführt hat. Das “mediterrane gute Leben” war und ist oft bescheiden, geprägt von Sonne, Geselligkeit und der Sicherheit, dass die Grundbedürfnisse gedeckt sind.
Die Globalisierung hat neue Formen des Reichtums hervorgebracht, die nichts mehr mit den lokalen Eliten von einst zu tun haben. Der Lebensstil der globalen Superreichen ist für die meisten Spanier nicht nur unerreichbar, sondern auch kaum vorstellbar. Diese Diskussion verdeutlicht den tiefen sentimentalen Unterschied zwischen sozialen Klassen, Mentalitäten und Bestrebungen, selbst wenn alle im selben virtuellen Universum leben.
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Kurz gesagt: wir Arbeiten um zu Leben! Die nicht mediterranen Leben um zu arbeiten. Was ist wohl erstrebenswerter?