Die Frage, ob in Spanien eine “Madrilenophobie” existiert, ist so alt wie die sommerlichen Reisewellen selbst. Eine aktuelle Studie liefert nun erschreckend klare Antworten und zeichnet das Bild einer tief gespaltenen Wahrnehmung zwischen der Hauptstadt und dem Rest des Landes.
Der Funke, der das Feuer entfachte: Ein galicisches Restaurant schließt seine Türen
Um das Phänomen zu verstehen, genügt ein Blick zurück auf den vergangenen Sommer. Die Bar Puerto Martina, ein bescheidenes Lokal in Mera (Galicien), erlangte über Nacht internationale Berühmtheit – nicht wegen ihrer Küche, sondern wegen einer drastischen Entscheidung. Die Besitzer kündigten an, im August zu schließen, um den Touristen aus dem Zentrum der Halbinsel zu entgehen. Ihre Begründung, getränkt in Ironie: “Wenn in Mera eine Bombe fällt, werden ihnen auf der Meseta die Narren ausgehen.” Sie beklagten die “Arroganz” und den “Hochmut” bestimmter Besucher und gaben offen zu, “die Nase voll von den Menschen aus Madrid” zu haben. Diese Episode warf eine alte Frage neu auf: Gibt es eine manifeste Madrilenophobie in Spanien?
Die harte Realität in Zahlen: Eine Studie deckt auf
Das Carsharing-Unternehmen Zity hat sich dieser heiklen Frage angenommen und in einer umfassenden Studie mit über 1.100 Befragten versucht, das Ausmaß der Madrilenophobie zu quantifizieren. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Eine überwältigende Mehrheit von 68,5 % der Einwohner Madrids gibt an, sich bei Reisen in andere spanische Regionen anders behandelt zu fühlen.
Die Studie offenbart weitere beunruhigende Details:
- 59,5 % der Madrilenen fühlen sich unwohl, wenn über den Tourismus aus der Hauptstadt gesprochen wird, als sei er “eine Pest”.
- Dieses Unbehagen führt so weit, dass ein Drittel der Befragten aus Madrid zugibt, ihre Herkunft im Urlaub bewusst zu verbergen oder zumindest schon einmal darüber nachgedacht zu haben.
- Mehr als die Hälfte, nämlich 50,5 %, hat sich an einem Urlaubsort schon einmal aktiv verdrängt oder unerwünscht gefühlt.
Interessanterweise steht diese Wahrnehmung im krassen Gegensatz zum Selbstbild: 53 % der Madrilenen beschreiben sich selbst als höfliche und korrekte Touristen.
»Zuhälter, Arrogant, Besserwisserisch«: Das Bild des Madrilenen
Die Zity-Studie beleuchtet auch die Gegenseite. Wie sieht der Rest Spaniens die Besucher aus der Hauptstadt? Die Daten bestätigen die schlimmsten Befürchtungen. Mehr als ein Drittel der Befragten außerhalb Madrids (35,5 %) ist der Meinung, dass Madrilenen die Touristen mit der schlechtesten Einstellung sind. Damit führen sie die unrühmliche Liste weit vor den Katalanen (21,3 %) und Andalusiern (13,3 %) an. Besonders ausgeprägt ist diese Ansicht in Galicien, wo 53,6 % die Madrilenen als die unangenehmsten Besucher des Landes bezeichnen.
Auf die Frage, welche drei Adjektive den Madrider Touristen am besten beschreiben, lauteten die häufigsten Antworten:
- “Zuhälter” / “Protzig” (37,5 %)
- Arrogant (36,5 %)
- Besserwisserisch (29,2 %)
Ein unbestreitbares Phänomen
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Madrilenophobie mehr als nur eine subjektive Wahrnehmung ist. Fast die Hälfte aller Befragten in ganz Spanien (46,7 %) hält sie für ein reales und unbestreitbares Problem. Dieses Gefühl wird durch wiederkehrende Klischees und Sätze genährt, die viele Befragte schon gehört haben wollen:
- “Die Menschen in Madrid sind bereits hier” (gehört von 70,7 %)
- “Das gibt es in Madrid nicht” (68,5 %)
- Kommentare über die Arroganz, alles andere als “klein oder schäbig” zu empfinden (64,2 %)
In Galicien hat sich zudem das hartnäckige Klischee etabliert, Madrilenen würden “überall parken” – was an der Küste gelegentlich zu von der Flut überraschten Fahrzeugen führt. Die Studie zeigt: Die Kluft zwischen der Selbstwahrnehmung der Hauptstädter und dem Bild, das andere von ihnen haben, ist tief. Die Frage ist nicht mehr, ob es Madrilenophobie gibt, sondern wie Spanien als Ganzes mit dieser Realität umgehen will.
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