Spanien hat seine Position als unangefochtener Weltmarktführer bei Organtransplantationen mit einer historischen Zahl von 6.464 Eingriffen im Jahr 2024 eindrucksvoll zementiert. Doch hinter dieser beeindruckenden Zahl steckt mehr als nur Statistik. Es ist das Ergebnis einer beispiellosen Organisation und bahnbrechender medizinischer Innovationen, die die Grenzen des Möglichen verschieben. Experten der Nationalen Transplantationsorganisation (ONT) und führende Krankenhauskoordinatoren geben Einblicke in das Erfolgsgeheimnis.
Das Fundament des Erfolgs: Eine beispiellose Organisation
“Die Organisation, die wir in anderen Bereichen vermissen, gibt es hier”, bringt es Mario Chico Fernández, Transplantationskoordinator am Universitätskrankenhaus 12 de Octubre in Madrid, auf den Punkt. Diese Aussage findet breite Zustimmung unter Experten. An der Spitze dieses Systems steht die Nephrologin Beatriz Domínguez-Gil, Leiterin der ONT. Sie gesteht, dass die Herausforderung jährlich wächst, doch die Zahlen für 2025 deuten auf einen ungebrochenen Erfolgskurs hin. Von Januar bis Juni wurden bereits 3.207 Transplantationen durchgeführt, mit einer Rekordrate von 52,7 Organspendern pro Million Einwohner – ein Wert, der weltweit seinesgleichen sucht. Domínguez-Gil betont, dass es nicht nur um Schlagzeilen geht, sondern um die nachhaltige Kombination aus menschlicher Großzügigkeit und wissenschaftlichem Fortschritt.
Asystolie-Spende: Die Revolution der Organverfügbarkeit
Einer der entscheidenden technologischen Fortschritte ist die Spende in Asystolie. “Hierbei handelt es sich um die Transplantation von Organen eines Spenders, der nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand (Asystolie) anstelle des Hirntods verstorben ist”, erklärt Chico. Diese Methode, die mittlerweile über 50 % der Spenden ausmacht, hat die Verfügbarkeit und Qualität von Organen dramatisch erhöht. Durch den Einsatz fortschrittlicher Techniken wie der normothermen regionalen Perfusion (ECMO) können Organe, die früher als unbrauchbar galten – sogar Herzen – konserviert und erfolgreich transplantiert werden. Dieses Verfahren ist landesweit in den Krankenhäusern etabliert und trägt maßgeblich zur Gerechtigkeit im System bei.
Hoffnung für die Kleinsten: Teilherztransplantationen bei Neugeborenen
Eine besondere Herausforderung stellt die pädiatrische Transplantation dar. Am Universitätskrankenhaus Gregorio Marañón wurde ein wegweisendes Programm zur teilweisen Herztransplantation bei Neugeborenen ins Leben gerufen. Juan Miguel Gil Jaurena, Leiter der Kinderherzchirurgie, erklärt den Ansatz: “Wir können nun die Herzklappen von Herzen, die für eine komplette Transplantation nicht infrage kommen, für jene kleinen Patienten nutzen, die keinen vollständigen Ersatz benötigen.” Wenn nur die Verbindungsstücke des Herzens defekt sind, können passgenaue Teile eines Spenders mit ähnlicher Statur transplantiert werden. Der unschätzbare Vorteil: “Das transplantierte Stück wächst natürlich mit dem Kind mit. Dies reduziert Folgeoperationen und den Bedarf an Immunsuppressiva erheblich”, so Gil Jaurena.
Erweiterung des Spenderkreises: Alte Barrieren fallen
Die moderne Transplantationsmedizin in Spanien überwindet zunehmend Hürden, die früher als unüberwindbar galten.
Alter und Infektionskrankheiten sind kein Hindernis mehr
Das Alter spielt kaum noch eine Rolle. Im Jahr 2024 waren fast 60 % der Spender über 60 Jahre alt, der älteste sogar 88. Ein Meilenstein war zudem die Aufhebung eines Gesetzes im Juli dieses Jahres, das Menschen mit HIV von der Spende ausschloss. “Ein gewaltiger Fortschritt”, kommentiert Domínguez-Gil. Allein in den letzten zehn Jahren hätten 65 potenzielle Spender mit HIV bis zu 165 Transplantationen ermöglichen können. Dank moderner antiviraler Therapien, etwa gegen Hepatitis C, stellen auch solche Infektionen kein Hindernis mehr dar, da die Krankheitserreger sicher kontrolliert werden können.
Ein neues Kapitel: Spenden nach Krebserkrankungen
Selbst Tumoren des zentralen Nervensystems schließen eine Spende nicht mehr kategorisch aus. Forschungen des Radioonkologen Juan Antonio Encarnación haben gezeigt, dass Patienten, die an solchen Tumoren leiden, “bestimmte Organe mit einem sehr geringen Risiko für den Empfänger spenden können”, erläutert Dr. Mario Royo-Villanova vom Krankenhaus Virgen de la Arrixaca in Murcia. Seit 2021 konnten dank strenger Sicherheitsprotokolle, die modernste bildgebende Verfahren umfassen, 46 Personen Organe spenden und damit 86 Menschen ein neues Leben schenken. Dies beweist, dass durch sorgfältige wissenschaftliche Arbeit und sichere Protokolle die Vorteile die minimalen Risiken bei Weitem überwiegen.
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