Spaniens Kampf gegen Online-Prostitution: Ein geplatzter Traum und die digitale Realität

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Spaniens Kampf gegen Online-Prostitution: Ein geplatzter Traum und die digitale Realität
Image by freepik

Spaniens ambitionierter Plan, der Prostitution und insbesondere der rasant wachsenden Online-Zuhälterei den Garaus zu machen, ist vorerst gescheitert. Ein für diesen Herbst erwartetes “abolitionistisches Gesetz” liegt in Trümmern, nachdem es im Parlament keine Mehrheit fand. Während die Regierung nach Wegen sucht, ihr Versprechen doch noch einzulösen, boomt das Geschäft auf Plattformen wie OnlyFans und in den unzähligen digitalen Nischen des Internets. Die Frage ist drängender denn je: Kann Spanien diesen Kampf überhaupt noch gewinnen?

Die digitale Revolution der Sexarbeit: Vom Straßenstrich zum Online-Abo

Jahrzehntelang bewegte sich die Prostitution in Spanien in einer rechtlichen Grauzone – weder vollständig legal noch explizit verboten. Das Bild war geprägt von Neonlichtern an Landstraßen und diskreten Wohnungen in den Randbezirken der Städte. Doch die COVID-Pandemie wirkte wie ein Brandbeschleuniger für eine Entwicklung, die längst im Gange war: die massive Verlagerung ins Internet.

Clubs und Bars schlossen während der Lockdowns, der Straßenstrich starb praktisch aus. Escorts, Agenturen und Zuhälter eroberten stattdessen digitale Plattformen, soziale Medien und private Online-Kanäle. Das Geschäft ist heute urbaner, versteckter und für die Behörden ungleich schwerer zu fassen. An die Stelle eines leuchtenden Schildes an der Autobahn ist ein anonymes Profil getreten, das Geschäft wird per WhatsApp angebahnt und über verschlüsselte Kanäle abgewickelt.

Politischer Skandal als Katalysator – mit unerwartetem Ausgang

Der politische Wille, die Prostitution abzuschaffen, erhielt durch einen Skandal im Sommer neuen Auftrieb. Durchgesickerte Audioaufnahmen, in denen sich die Politiker José Luis Ábalos und Koldo García despektierlich über Prostituierte unterhielten, als wären sie Sammelobjekte, sorgten für öffentliche Empörung. Die sozialistische Regierung sah darin den perfekten Moment, um ein lange geplantes Anti-Prostitutionsgesetz durchzusetzen. Doch der Plan ging nicht auf. Die politische Landschaft erwies sich als zu zerklüftet, der Gesetzesentwurf scheiterte im Mai an mangelnder Unterstützung.

Der unüberbrückbare Graben: Abschaffung versus Regulierung

Das Scheitern des Gesetzes offenbart den tiefen ideologischen Riss, der durch die spanische Politik und Gesellschaft geht. Auf der einen Seite stehen die “Abolitionisten”, angeführt von der PSOE, die Prostitution als eine Form der Gewalt gegen Frauen betrachten und sie vollständig abschaffen wollen. Sie argumentieren, dass in einer modernen Gesellschaft der Körper einer Frau nicht käuflich sein dürfe.

Auf der anderen Seite steht ein Lager, das Sexarbeit als Arbeit anerkennt und für eine klare Regulierung plädiert, um die Rechte und die Sicherheit der Sexarbeitenden zu gewährleisten. Diese Gruppe warnt davor, dass ein komplettes Verbot die Frauen lediglich weiter in die Illegalität und in gefährlichere Abhängigkeiten drängen würde. Dieser unversöhnliche Konflikt lähmt seit Jahren jeden parlamentarischen Fortschritt.

OnlyFans und Co.: Die neuen legalen Zuhälter?

Im Zentrum der Debatte steht die Frage nach der “digitalen Zuhälterei”. Plattformen wie OnlyFans haben die Grenzen zwischen Pornografie und Prostitution weiter verwischt. Mit über 390 Millionen Nutzern weltweit, von denen die überwiegende Mehrheit Männer sind, und Millionen von “Creatorn”, meist jungen Frauen, hat sich ein milliardenschwerer Markt entwickelt. Das Geschäftsmodell ist einfach: Die Plattform kassiert 20 Prozent aller Einnahmen.

Kritiker, wie der spanische Verband junger Frauen, bezeichnen Plattformen wie OnlyFans unumwunden als “Zuhälter des 21. Jahrhunderts”. Sie argumentieren, dass hier die Idee normalisiert werde, der sexuelle Zugang zum Körper einer Frau – sei es durch ein Foto, ein Video oder eine private Nachricht – sei ein simples Monatsabonnement, vergleichbar mit Netflix.

Kann man die digitale Luft verbieten?

Das Scheitern des Gesetzes wirft die Kernfrage auf: Wie kann der Staat ein Phänomen kontrollieren, das global, digital und oft anonym ist? Gesetzgeber stehen vor der immensen Herausforderung, “die Luft habhaft werden zu wollen”. Man kann zwar Bordelle in Spanien schließen und die Vermietung von Wohnungen für Prostitution (die sogenannte tercería locativa) unter Strafe stellen. Doch was ist mit Servern, die auf Zypern oder in Vietnam stehen? Mit Anzeigen, die über Twitter und Facebook geschaltet werden, oder mit Gruppen in verschlüsselten Messenger-Diensten wie Telegram?

Die spanische Regierung hat angekündigt, trotz der Niederlage nicht aufzugeben. Doch ohne ein umfassendes Gesetz wird der Kampf gegen die digitale Prostitution ein Flickenteppich bleiben. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit in einer Welt, in der das Geschäft mit dem Sex, getarnt als “Content Creation”, nur einen Klick entfernt ist und sich weiter in die schwer zu kontrollierenden Tiefen des Internets verlagert.


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