Eine historische Entscheidung bahnt sich an: Spanien und das Vereinigte Königreich stehen kurz davor, das letzte physische Symbol der Teilung auf dem europäischen Festland zu beseitigen. Der Grenzzaun zu Gibraltar, ein Überbleibsel aus einer vergangenen Epoche, soll in den ersten Monaten des Jahres 2026 fallen. Nach intensiven Verhandlungen hoffen Brüssel, Madrid und London, den finalen Rechtstext des wegweisenden Abkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich noch im Oktober dieses Jahres fertigzustellen. Dies würde eine Ratifizierung um die Weihnachtszeit ermöglichen und den Weg für den Abriss ebnen.
Die Details des Abkommens: Schengen, Zoll und Steuern neu gedacht
Der Kern des politischen Pakts, der bereits im Juni erzielt wurde, ist eine umfassende Neuregelung der Beziehungen, die die heikelsten Punkte aus dem Weg räumt. Jahrelange Verhandlungen zwischen London, Madrid, Brüssel und Gibraltar mündeten in einer Einigung, die den freien Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr revolutionieren wird.
Ein zentraler Punkt ist die Beseitigung der Grenzkontrollen am Zaun. Stattdessen wird es eine doppelte Kontrolle durch spanische und gibraltarische Polizeikräfte am Hafen und am Flughafen geben. Die spanische Polizei wird dabei die vollständige Verantwortung für die Schengen-Kontrollen am Flughafen übernehmen – ein Modell, das sich an den französischen Kontrollen am Londoner Bahnhof St. Pancras orientiert. Damit wird Gibraltar de facto Teil des Schengen-Raums, eine Lücke, die der Brexit hinterlassen hatte.
Des Weiteren sieht das Abkommen die Schaffung einer Zollunion zwischen der Europäischen Union und Gibraltar vor. Dies eliminiert die Notwendigkeit von Warenkontrollen an der Landgrenze. Ein besonders umstrittener Punkt, die indirekte Besteuerung, wurde ebenfalls geklärt. Es werden Grundsätze für eine der Mehrwertsteuer ähnliche Steuer festgelegt, die auch auf Tabak erhoben wird. Dies soll steuerliche Verzerrungen vermeiden und zum wirtschaftlichen Wohlstand der benachbarten spanischen Region, dem Campo de Gibraltar, beitragen, die stark von der Wirtschaft des Felsens abhängig ist.
Politische Wellen und historische Bedeutung
Die Verhandlungen waren von Beginn an von starken Emotionen und nationalen Symbolen geprägt. Seit Spanien im Jahr 1713 die Souveränität über die knapp sieben Quadratkilometer große Enklave abtrat, ist das Thema ein Politikum. Der Brexit verschärfte die Situation und ließ Gibraltar in einem rechtlichen Vakuum zurück. Die nun erzielte Einigung wurde in Spanien von Kritikern wie dem ehemaligen Außenminister José Manuel García Margallo als „totale Kapitulation“ bezeichnet. Quellen aus der EU-Exekutive betonen jedoch: „Souveränität stand und konnte nicht auf dem Tisch liegen, und dies ist das bestmögliche Abkommen.“
Der Ministerpräsident von Gibraltar, Fabian Picardo, unterstützt den ambitionierten Zeitplan und erklärte: „Wir arbeiten alle daran, einen möglichst schnellen Zeitplan für eine Einigung über den Vertragstext, seine Ratifizierung und seine Umsetzung zu erreichen.“ Auch wenn Brüssel die Fristen für realistisch hält, wird vor möglichen Verzögerungen gewarnt. Die Übersetzung des komplexen Rechtstextes in 23 Sprachen und die notwendige Zustimmung im Europäischen Parlament könnten sich als Hürden erweisen.
Ein neues Kapitel für die Region und Europa
Der Fall des Zauns, der seit 1969 (mit einer Wiedereröffnung in den 80er Jahren) das Leben von Tausenden von täglichen Pendlern prägte, ist mehr als nur ein symbolischer Akt. Experten sind sich einig, dass dieser Schritt die Wirtschafts- und Geschäftsgeografie der gesamten Region revolutionieren wird. Er verspricht nicht nur eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Spanien und dem Vereinigten Königreich, zwei wichtigen Partnern, sondern könnte auch den Weg für eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und London ebnen, die in Zeiten globaler Krisen immer wichtiger wird. Mit dem Fall dieser letzten Mauer in Kontinentaleuropa beginnt ein neues, vielversprechendes Kapitel für Gibraltar, Spanien und die gesamte Europäische Union.
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