Die Kanarischen Inseln glänzen als das unangefochtene Top-Reiseziel für Sonne und Strand in der Europäischen Union. Seit den Unruhen des Arabischen Frühlings 2012 sind sie zudem ein sicherer Hafen für Investoren im Immobiliensektor geworden. Doch hinter der Fassade aus Wohlstand und sonnenverwöhnten Stränden verbirgt sich eine alarmierende wirtschaftliche Realität, die eine Studie der Universität von La Laguna nun gnadenlos aufdeckt: Der Löwenanteil des im Hotelsektor erwirtschafteten Reichtums kommt den Inseln selbst nicht zugute.
Eine Studie mit Sprengkraft: 60% der Gewinne fließen ab
Von den beeindruckenden Gewinnen in Höhe von fast 989 Millionen Euro, die im Jahr 2023 erzielt wurden, verflüchtigen sich über 60 %. Dieses Geld fließt direkt an Betreibergesellschaften und Konzernzentralen außerhalb des Archipels. Es ist das Paradoxon eines Systems, das enorme wirtschaftliche Energie erzeugt, diese aber nicht zur Stärkung der eigenen lokalen Strukturen nutzt. Die Autoren der Studie, Daniel Aparicio Kemper und Fabiola Martínez Ochoa von der Wirtschaftsfakultät auf Teneriffa, bringen es auf den Punkt: “Das Modell ist aus Sicht der Einkommensströme zweifellos erfolgreich.” Doch sie warnen zugleich: “Wenn man seine Effizienz im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Umverteilung des Wohlstands und die Stärkung des lokalen Unternehmensgefüges analysiert, zeigen die Daten tiefe strukturelle Schwächen.” Ihr Fazit ist ernüchternd: Der Tourismus in seiner jetzigen Form generiert viel, aber verteilt wenig.
Das Paradox der Sterne: Luxushotels in fremder Hand
Die Untersuchung zeigt ein klares Muster: Die profitabelsten 4- und 5-Sterne-Hotels, die durchschnittliche Gewinne von 37,30 Euro bzw. 43,54 Euro pro Zimmer und Tag erwirtschaften, befinden sich fast ausschließlich im Besitz nicht-kanarischer Betreiber. Lokale Unternehmer konzentrieren sich hingegen auf 1- und 2-Sterne-Häuser, deren Margen mit weniger als 15 Euro pro Tag deutlich geringer ausfallen. Besonders deutlich wird dies auf den einzelnen Inseln.
Fuerteventura und Lanzarote: Wo das Geld am schnellsten abfließt
In der östlichen Provinz ist die Situation besonders dramatisch. Auf Fuerteventura verlassen schockierende 87,02 % der Hotelgewinne – das sind 141 Millionen Euro – die Insel. Von den insgesamt 162 Millionen Euro Gewinn verbleiben nur magere 12,98 % in kanarischer Hand. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf Lanzarote, wo 64,71 % der Gewinne (rund 106 Millionen Euro) abfließen.
Teneriffa und Gran Canaria: Die Motoren mit dem Leck
Selbst die wirtschaftlichen Schwergewichte sind nicht immun. Teneriffa, der größte Motor der kanarischen Wirtschaft, generierte Hotelgewinne von 374,7 Millionen Euro. Davon verschwanden jedoch 61,54 % aus dem lokalen Kreislauf. Das Modell, das sich stark auf große 4- und 5-Sterne-Anlagen im Süden konzentriert, spiegelt die Dominanz internationaler Ketten wider. Auf Gran Canaria wurden von 274,7 Millionen Euro Gewinn immerhin 57,80 % vor Ort einbehalten – ein besseres Ergebnis als auf Teneriffa, aber dennoch flossen 42,20 % in die Kassen externer Betreiber.
Die Hoffnungsträger: La Gomera und El Hierro
Dass es auch anders geht, beweisen die kleineren westlichen Inseln. La Gomera ist die große Erfolgsgeschichte: Von den jährlich 5,66 Millionen Euro Gewinn verbleiben überwältigende 91,72 % auf der Insel. Hier ist das lokale Unternehmertum so stark verwurzelt, dass selbst in der profitabelsten 4-Sterne-Kategorie fast 90 % der Gewinne lokal erwirtschaftet werden.
Auch El Hierro zeigt ein widerstandsfähiges Modell. Hier werden 64,52 % der Einnahmen vor Ort gehalten. Kurioserweise ist der Gewinnabfluss von 35,48 % fast ausschließlich auf eine einzige Einrichtung zurückzuführen: den staatlichen Parador de El Hierro.
Eine Zukunft für die Kanaren: Wohlstand muss geteilt werden
Die Studie zieht ein klares Fazit: Der Tourismus ist zwar der unbestrittene Wirtschaftsmotor des Archipels, doch das aktuelle Geschäftsmodell ist aus Sicht der lokalen Entwicklung ineffizient. Die Herausforderung für die Zukunft ist gewaltig. Es muss ein Tourismusmodell entwickelt werden, das nicht nur Reichtum für internationale Konzerne produziert, sondern diesen auch nachhaltig im lokalen Wirtschaftsgefüge verankert. Nur so kann eine faire Entwicklung gewährleistet werden, von der die gesamte kanarische Gesellschaft profitiert.
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