Der falsche Jude: Betrug mit Sepharden-Zertifikaten schockiert Spanien

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Der falsche Jude: Betrug mit Sepharden-Zertifikaten schockiert Spanien
Bild: Ki

Ein weitreichender Skandal erschüttert Spanien: Die Nationalpolizei hat am 24. Juni 2025 in Málaga sechs Personen verhaftet, die über Jahre hinweg Sepharden-Zertifikate gefälscht und verkauft haben. Diese betrügerischen Machenschaften ermöglichten Tausenden von Personen die unberechtigte Einwanderung und Einbürgerung in Spanien, indem sie eine spanisch-jüdische Abstammung vortäuschten. Bei der großangelegten Razzia wurden 1.237 gefälschte Abstammungsnachweise sichergestellt, die Gesamtzahl der gefälschten Dokumente bleibt jedoch ungewiss. Zusätzlich froren die Behörden 3,2 Millionen Euro auf verschiedenen Konten ein und beschlagnahmten zehn Immobilien.

Wie die Betrüger vorgingen und wie das System funktionierte

Laut Ermittlern kassierten die Kriminellen pro Antragsteller zwischen 6.000 und 8.000 Euro. Mit diesen gefälschten Sepharden-Zertifikaten erhielten die Antragsteller relativ unkompliziert die spanische Staatsbürgerschaft. Die Ermittlungen in diesem Fall laufen bereits seit 2021 und wurden durch „Unregelmäßigkeiten“ ausgelöst, die im für das Programm zuständigen Amt des spanischen Ministerpräsidenten auffielen.

Die historische Ironie der “Kryptojuden” und des Einbürgerungsgesetzes

Der Vorfall birgt eine tiefgreifende historische Ironie. Spätestens seit 1492 zahlten jüdische Spanier, oft unter Verlust ihrer gesamten Habe, um auf dem Papier keine Juden mehr zu sein. Sie wollten so dem Edikt von Granada (auch Alhambra-Edikt) der Katholischen Könige entgehen, welches die Ausweisung aller jüdischen Spanier befahl und bei Weigerung ihre Tötung anordnete. Damals entstand der Begriff der Kryptojuden.

Mehr als 500 Jahre nach diesem ersten Rassengesetz Europas zahlten ab 2015 Tausende von Menschen aus dem Maghreb, Lateinamerika, Südosteuropa und der Türkei teilweise hohe Summen, um nachzuweisen, dass sie spanisch-jüdischer Abstammung sind. Mit dem Sepharden-Zertifikat hatten sie ein Recht auf die spanische Staatsbürgerschaft. Grundlage hierfür ist das Real Decreto 12/2015, welches die historische Schuld Spaniens an der Deportation ihrer jüdischen Bürger anerkennt und die Rückkehr der Nachfahren nach Spanien durch ein recht lückenhaftes Einwanderungsgesetz erleichtern sollte – als eine Art Wiedergutmachung.

Ein Gesetz voller Widersprüche: Abstammung und die Suche nach Beweisen

Dass das Gesetz auf Abstammung, also einem „Blutsrecht“ beruht und damit eine Art „positives Rassengesetz“ darstellt, war nur einer der Widersprüche dieser Initiative. Ein weiterer war die Tatsache, dass der Nachweis einer sephardischen Blutslinie über 500 Jahre forensisch nahezu unmöglich ist. Dies wurde kürzlich am Beispiel von Christoph Kolumbus deutlich, der nach neuesten DNA-Analysen womöglich auch ein spanischer Jude bzw. ein Nachfahre von Sepharden war und kein alteingesessener katholischer Genuese. Auch bei Antonio de Lebrija, dem „Vater“ der spanischen Sprache, besteht die Möglichkeit, dass er unter dem „Radar“ der Inquisition als Nachfahre von Sepharden agierte, einen Beweis gibt es hierfür allerdings nicht.

Das sephardische Erbe in Spanien heute

Das sephardische Erbe wird heute in Spanien auf vielfältige Weise gepflegt, oft auf private Initiative von Einwanderern mit sephardischen Wurzeln und unterstützt durch Organisationen und den Staat. Beispiele hierfür sind das touristische Netzwerk Caminos de Sefarad, Kulturhäuser und Museen wie in Córdoba, ein Interpretationszentrum im alten jüdischen Viertel, eigentlich dem „Ghetto“ von Sevilla, in dem 1391 die ersten großen Pogrome begannen, oder im Barrio Realejo von Granada. Auch die Restaurierung von über Jahrhunderte „verschütteten“ Synagogen trägt dazu bei. Das Museum Sefardí in Toledo mit seiner prachtvollen Synagoge gilt als Vorzeigeprojekt.

Die verpasste Chance für die Nachfahren der Mauren

Den Nachfahren der Mauren, die über 700 Jahre auf dem Gebiet des heutigen Spaniens (damals Al-Andalus) zu Hause waren und deren kultureller Einfluss auf Spaniens Kultur und Entwicklungsgeschichte ungleich höher war als jener der Sephardim, machte Spanien dieses Angebot nicht. Wer nachfragt, erntet peinliches Schweigen von Seiten der Politik. Vor allem die Marokkaner waren beleidigt, da sich viele der Mauren und Morisken nach der Vertreibung in Marokko neu ansiedelten, eine Art Zeitkapsel des maurischen Andalusiens entstand und die Bewohner sich auch als frühere spanische Kolonie in einem gewissen Recht sahen, Spanier werden zu dürfen. Sie ärgerten sich über diese erneute Ausgrenzung, die als schlicht „islamfeindlich“ wahrgenommen wurde – was sie letztlich auch ist. Allerdings genießen Marokkaner immerhin gewisse Privilegien bei der Einwanderung, vor allem in Bereichen des Billiglohnsektors, die allerdings noch hinter jenen für Menschen der (christlich geprägten) Länder Lateinamerikas zurückbleiben.

Politischer Murks: Das Gesetz zur Einbürgerung der Nachfahren jüdischer Spanier

Die Antragsfrist des Projektes „Heimkehr der Sepharden nach Spanien“ endete zunächst am 30. Juni 2021. Bis dahin sollen knapp 60.000 Anträge auf spanische Staatsbürgerschaft eingegangen sein, die teils noch immer bearbeitet werden. Zudem hatte die Regierung mehrere Verlängerungsfristen verhängt, wegen Corona, aber auch, weil es in mehreren Herkunftsländern zu erwartbaren Schwierigkeiten und auch gaunerischen Unregelmäßigkeiten bei den Sepharden-Zertifikaten kam. Man wollte ehrlichen Antragstellern aber nochmals eine Chance geben. Mittlerweile sollen so über 100.000 Anträge zusammengekommen sein und weitere eingehen.

Ein regelrechtes Business mit Dienstleistern von Buenos Aires über Istanbul bis Jerusalem entstand. Im Internet und in sozialen Medien tauchten mal mehr, mal weniger seriöse „Agenturen“ auf, die sich gegen teilweise enorme Gebühren um die Abwicklung der Sepharden-Nachweise und die Anträge für die spanische Staatsbürgerschaft kümmern. Dass direkte, dreiste Fälscher nun in Spanien selbst agierten, hat dazu geführt, dass laut Nationalpolizei die Kontrollmechanismen nochmals verschärft werden mussten. Ob auch bereits erteilte Staatsbürgerschaften überprüft und gegebenenfalls aberkannt werden, darüber deckt die Regierung genauso den Mantel des Schweigens wie über die Nationalität der jetzt verhafteten Fälscher. Gerüchteweise sollen auch Rechtsanwälte und Beamte dem Netzwerk gegen „Bakschisch“ zugearbeitet haben. Der spanischen Regierung scheint das gesamte Projekt ein bisschen aus den Händen geglitten zu sein, administrativ wie politisch. Moralisch war es nie sonderlich geschickt.


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