Das System zum Schutz von Eliten: In Spanien genießen 250.000 Personen Immunität

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Das System zum Schutz von Eliten: In Spanien genießen 250.000 Personen Immunität
Bild: KI

Spanien nimmt in Europa eine Sonderstellung ein, wenn es um die Anzahl der Personen mit besonderem Rechtsschutz, den sogenannten „Aforamientos“ (Immunitäten), geht. Mit fast 250.000 Begünstigten hält das Land den europäischen Rekord und übertrifft damit Länder wie Frankreich mit 19 oder Italien mit lediglich einer Immunität bei Weitem. Dieses System, das es den Betroffenen ermöglicht, vor höheren Gerichten statt vor ordentlichen Gerichten abgeurteilt zu werden, steht zunehmend im Zentrum öffentlicher Debatten und scharfer Kritik, insbesondere im Zusammenhang mit aufsehenerregenden Korruptionsfällen, die die spanische Politik erschüttern.

Das weite Feld der Immunitäten: Wer profitiert in Spanien?

Die Immunität in Spanien erstreckt sich über ein breites Spektrum von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Schätzungen zufolge genießen rund 17.600 Personen in staatlichen und öffentlichen Einrichtungen der autonomen Gemeinschaften diesen besonderen Schutz. Dazu gehören etwa 2.000 Politiker, rund 5.500 Richter, ungefähr 2.700 Staatsanwälte sowie Mitglieder des Rechnungshofs, des Staatsrats und des Bürgerbeauftragten. Doch die Liste ist noch länger: Über 232.000 Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte und -korps sowie der Regionalpolizei genießen eine Teilimmunität. Sie werden von den Provinzgerichten für Straftaten verurteilt, die in Ausübung ihres Amtes begangen wurden. Selbst fünf Mitglieder der königlichen Familie sind immun, zusätzlich zum König, der als unverletzlich gilt.

Im krassen Gegensatz dazu sind die Zahlen in anderen europäischen Ländern verschwindend gering. In Frankreich genießen lediglich der Präsident der Republik, der Premierminister und die Minister Immunität, was aktuell 19 Personen umfasst. In Italien besitzt nur der Präsident der Republik diese Immunität. Portugal folgt einer ähnlichen Logik: Der Präsident der Republik ist immun, und Mitglieder des Staatsrats verfügen über eine beschränkte parlamentarische Immunität. Länder wie Deutschland und das Vereinigte Königreich kennen keine Immunität in diesem Sinne; hier werden alle Bürger, einschließlich Politiker und hoher Beamter, vor ordentlichen Gerichten abgeurteilt. Parlamentarische Schutzmechanismen gibt es jedoch in vielen europäischen Ländern: In Österreich und Belgien können Abgeordnete für ihre parlamentarische Arbeit nicht vor Gericht gestellt werden, abgesehen von disziplinarischen Maßnahmen ihres Präsidenten. In Finnland ist dies zwar möglich, erfordert jedoch einen formellen Antrag an die Legislative, ähnlich der Immunität von Abgeordneten.

Immunität: Schutzmechanismus oder Schutzschild?

Die Befürworter der Immunität verteidigen sie als notwendige Maßnahme, um die Unabhängigkeit hoher Beamter zu schützen und politischen Druck auf sie zu vermeiden. Kritiker hingegen argumentieren, dass dieses System die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz untergräbt und als Schutzschild für die politische Klasse dient, was die Rechenschaftspflicht erschwert und den Kampf gegen Korruption behindert.

Diese Bedenken finden auch in internationalen Berichten ihren Widerhall. Die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) des Europarats hat Spanien wiederholt aufgefordert, die Zahl der Immunitätsträger zu reduzieren, da dieses System das Funktionieren der Justiz beeinträchtigt. In ihrem jüngsten Compliance-Bericht vom April 2025 bekräftigte die GRECO ihre Besorgnis über den mangelnden Fortschritt bei der Reform des spanischen Immunitätssystems. Obwohl einige autonome Gemeinschaften Änderungen vorgenommen haben, wurden auf zentralstaatlicher Ebene, die die GRECO besonders beunruhigt, keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen. Als Begründung wird der fehlende Konsens für eine Verfassungsrevision angeführt. Die Europäische Union hat in dieser Hinsicht zwar keinen Druck ausgeübt, doch spanische Richter und Staatsanwälte haben Brüssel vor den Gefahren der Immunität, Angriffen auf die Justiz und der Verwendung des Begriffs „Lawfare“ in politischen Reden gewarnt. Diese drei Elemente, die in Spanien vorhanden sind, können nach Ansicht dieser Fachleute das Bild einer „Politisierung“ der Justiz vermitteln.

Aktuelle Debatten und die Forderung nach Reform

Die Debatte über die Aforamientos hat jüngst durch den Fall von Miguel Ángel Gallardo, dem Präsidenten des Provinzrats von Badajoz, neue Aktualität gewonnen. Gegen ihn wurde ermittelt, weil er angeblich den Bruder des Regierungspräsidenten in ein öffentliches Amt versetzt haben soll. Gallardo weigerte sich, auf seine Immunität zu verzichten, setzte sich jedoch gegen andere Kollegen durch und gewann einen Sitz in der Versammlung von Extremadura. Dies ermöglicht ihm, vor einem höheren Gericht angeklagt zu werden und eine mögliche Verurteilung vor einem ordentlichen Gericht zu vermeiden. Es wurde argumentiert, dass die Änderung ihm zwar ein Berufungsverfahren nimmt, ihm aber kurzfristig Zeit verschafft und im Falle einer Berufung gegen eine hypothetische Verurteilung eine schnellere Ankunft von Conde Pumpido vor dem Verfassungsgericht erleichtert. Conde Pumpido war bereits in umstrittene Revisionen verwickelt, wie die Entlastung derjenigen, die wegen der Korruption der ERE in der andalusischen PSOE verurteilt wurden.

Dieser Schutz wird in Spanien erneut diskutiert. Gallardo selbst hat nach seinem Manöver vorgeschlagen, die Aforamientos abzuschaffen, eine Forderung, die die PSOE bereits 2018 zur „Wiederbelebung der Demokratie“ verteidigte. Solche Reformen erfordern jedoch eine Verfassungsänderung, was einen komplexen Gesetzgebungsprozess und einen breiten politischen Konsens voraussetzt.

Fazit und Ausblick

Die Reform des Immunitätssystems in Spanien bleibt ein offenes Thema. Trotz zahlreicher Vorschläge und wachsendem gesellschaftlichem sowie internationalem Druck, die Zahl der Immunitätsträger zu reduzieren, haben der fehlende politische Konsens und die Hürden einer Verfassungsänderung wesentliche Fortschritte bislang verhindert. Das aktuelle System bleibt somit Gegenstand von Kontroversen und Kritik, insbesondere im Licht der anhaltenden Korruptionsfälle, die die politische Klasse in Spanien betreffen.

Das Immunitätssystem, ursprünglich zur Sicherung der Unabhängigkeit hoher Beamter gedacht, wird zunehmend als Privileg wahrgenommen, das die Rechenschaftspflicht und den Kampf gegen Korruption behindert. Eine Reform dieses Systems ist zwar komplex, da sie eine breite Übereinstimmung unter den Abgeordneten erfordern würde, könnte aber maßgeblich dazu beitragen, das Vertrauen in die Institutionen und das Justizsystem sowohl bei den Bürgern als auch in der internationalen Gemeinschaft zu stärken.


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