Wenn dir die Statistik nicht passt ändere die Methodik? Der Streit um Spaniens Zahlen

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Wenn dir die Statistik nicht passt ändere die Methodik? Der Streit um Spaniens Zahlen
Bild: KI

Der politische Kampf um „die Zahl der Zahlen“ ist in Spanien voll entbrannt: Von Wahlumfragen des CIS über BIP-Revisionen und VPI-Körbe bis hin zu Kriminalitäts-Bilanzen und der neuen Mietanpassung IRAV. Was ist gesichert, was umstritten – und was bedeutet das für Bürgerinnen und Bürger?

CIS: Umfragen, Modelle und der Vorwurf politischer Schlagseite

Seit 2018 steht das Centro de Investigaciones Sociológicas (CIS) unter José Félix Tezanos wegen seiner Stimmenschätzungen im Fokus. Kritisiert wird unter anderem das Modell „Alaminos-Tezanos“ zur Wahlprognose und die Abkehr vom klassischen „Stimmenrückruf“. Dass die veröffentlichten Balken häufig vom Mittel anderer Demoskopen abweichen, dokumentieren unabhängige Aggregatoren regelmäßig, was den Vorwurf politischer Verzerrung nährt.

Einordnung: Wer Umfragen vergleicht, sollte Methode, Feldzeit, Stichprobe, Gewichtung und Fragebogen prüfen, nicht nur Balken. Abweichungen sind nicht automatisch Manipulation – aber sie verdienen Transparenz.

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INE unter Druck: Rücktritt 2022 und kontroverse Kennzahlen

Im Juni 2022 trat der Präsident des Instituto Nacional de Estadística (INE), Juan Manuel Rodríguez Poo, zurück – offiziell aus persönlichen Gründen. Zuvor hatte es öffentlich ausgetragene Differenzen mit dem Wirtschaftsministerium über BIP– und VPI/IPC-Zahlen gegeben. Der Vorgang löste eine Unabhängigkeits-Debatte um die Statistikbehörde aus.

PVPC-Stromtarif: neue Berechnung ab 2024

Zum 1. Januar 2024 wurde die Methodik des regulierten PVPC-Tarifs reformiert (u. a. Einbezug von Terminmarkt-Preisen), offiziell um die Volatilität zu senken. Änderungen am PVPC wirken mittelbar auf Haushaltsenergiepreise und damit auf die Inflationsmessung, weshalb Ökonomen hier besonders genau hinschauen.

VPI/IPC: Körbe und Gewichte

Der VPI wird regelmäßig aktualisiert; Gewichte für Energie und Lebensmittel können sich mit Konsumgewohnheiten ändern. Das INE veröffentlicht dazu monatliche Mitteilungen und Tabellen. Anpassungen sind statistisch legitim, aber politisch sensibel, weil sie die offizielle Teuerungsrate beeinflussen.

IRAV: Der neue Index für Mietanpassungen ab 2025

Seit Januar 2025 gilt landesweit der Índice de Referencia para la Actualización de los Arrendamientos de Vivienda (IRAV) für viele Wohnmietverträge. Der IRAV ist ein Referenzwert, der aus IPC, Kerninflation und einer moderierenden Komponente berechnet wird; INE veröffentlicht ihn monatlich. Kritiker monieren: Der IRAV liege systematisch unter der realen Inflation und dämpfe dadurch Mieterhöhungen – Befürworter nennen genau das den Zweck.

Praxis-Hinweis: Prüfen Sie Vertragsdatum und Index-Klausel. Für 2025 kommunizieren Portale und Kanzleien IRAV-Werte um die 2,2–2,3 %, teils zusätzlich gesetzliche Obergrenzen.

Kriminalität: „Konventionell“ vs. „Cyber“ – was sagen die Bilanzen?

Das Innenministerium publiziert vierteljährliche Balances de Criminalidad. Im ersten Quartal 2025 stiegen unter anderem Straftaten gegen die sexuelle Freiheit mit Penetration deutlich, während die Gesamtkriminalität je nach Gebiet und Kategorie divergierte. Zugleich werden konventionelle und Cyber-Delikte getrennt ausgewiesen – das erschwert einfache Summen-Vergleiche, ist aber aus Analystensicht sinnvoll, weil Cyberkriminalität anders entsteht und verfolgt wird.

Wohlstand: BIP-Wachstum vs. BIP pro Kopf

Die Regierung verweist häufig auf überdurchschnittliches gesamtwirtschaftliches Wachstum. Für den Lebensstandard ist jedoch BIP pro Kopf entscheidend. Eurostat ordnet Spanien 2024 unter dem EU-Durchschnitt ein, was die Diskrepanz zwischen Gesamt- und Pro-Kopf-Entwicklung zeigt.

Arbeitsmarkt: „Unbefristet, aber nicht durchgängig“ – Zählweise zählt

Die Debatte um unbefristete, diskontinuierliche Verträge betrifft die Lesart von Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen. Je nach Statistik – registrierte Arbeitslosigkeit vs. EPA – können aktive Arbeitssuche, Verfügbarkeit und Vertragsstatus unterschiedlich gewichtet werden. Das ändert nicht die Realität einzelner Jobs – aber wie sie in den offiziellen Aggregaten erscheinen.

Fazit

Spaniens Zahlendebatten sind weniger Krimi als Methoden-Streit. Transparente Dokumentation, parallele Zeitreihen bei großen Änderungen und klare Trennschärfe würden das Vertrauen erhöhen. Bürger sollten bei offiziellen Grafiken stets nach Methodik, Basis, Gewichten und Revisionen fragen – und mehrere Quellen vergleichen.


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