Die Geschichte vom angeblichen Prügelkoch von Cala Martina

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Cala Martina – Erst alles ratzeputz aufessen, dann reklamieren, dann den Koch körperlich angehen, dann abhauen und die Zeche prellen – dies zeigen die Bilder der Überwachungskamera des Restaurants Cala Martina.

Dreist war nicht nur die Aktion des Gasts, in diesem Fall ein 72-jähriger Strafverteidiger aus München, Dr. Peter Schneider, der am 25. September vom Tisch aufsteht, um den Koch, der versucht, eine Essensreklamation friedlich zu klären, an den Schultern packt, sondern vor allem, den Koch Tage später bei der Polizei noch wegen angeblicher Körperverletzung anzuzeigen. Gleichzeitig startete seine Ehefrau Tabitha Schneider in den Sozialen Medien eine theatralische Hetzkampagne gegen das Restaurant und seinen Koch.

Die Geschichte vom angeblichen “Prügelkoch von Cala Martina” fuhr wie ein Schwert durch die deutschsprachige Ibiza-Gemeinde. Auch griffen deutsche und internationale Medien das Thema auf, nachdem sich der Herausgeber des Ibiza Heute-Magazins, Dieter Abholte, an der Stimmungsmache beteiligte. 

Für das Ehepaar “wurde das Leben zur Hölle”, schrieb er reißerisch am 13. Oktober in einem Editorial. Am 25. Oktober legte er nach und verbreitete weiter die Behauptung von “Körperverletzung, oder noch schlimmer, versuchter Totschlag”, obwohl es weder eine Anklage noch ein Urteil gab. Beide Artikel sind mittlerweile auf der Webseite des Magazins gelöscht, aber noch in der Google-Suche zu finden. 

Nach der Veröffentlichung bekam die deutsche Presse davon Wind, unter anderem die Süddeutsche Zeitung, die die Geschichte ungeprüft nachplapperte. Auch der Spiegel titelte “Koch verprügelt deutschen Gast”, ohne je dessen Version gehört oder die Videos gesehen zu haben. Schließlich landete die Story in den englischsprachigen Medien: Sky News berichtete gar von einer “Verurteilung”, obwohl das Schnellgericht auf Ibiza den Koch nach der Vernehmung sofort wieder frei ließ, weil klar war, dass die Anschuldigungen nicht stimmen. 

Wie die Aufnahmen der Überwachungskamera und der Bericht des Restaurantbesitzers Living Zurita belegen, ist die Story des angeblichen Angriffs des Ibiza-Kochs auf einen Gast “eine riesige Lüge”, wie dieser am 25. Oktober dem Nachrichtenportal La Voz de Ibiza sagte. Tatsächlich: Die Videos, die dem Ibiza Kurier seit 4. November als erstem Medium exklusiv vorliegen, aber vorläufig aufgrund richterlicher Anordnung noch nicht im Original gezeigt werden dürfen, ergeben eine völlig andere Version der Geschehnisse. 

Gegenüber der Guardia Civil hatten die Eheleute Schneider erklärt, sie hätten die Fischplatte reklamiert, worauf der Koch rassistische Aussagen gemacht und den Gast brutal angegriffen habe. Er sei gewalttätig auf sie losgegangen, habe einen Stuhl und Teller nach ihnen geworfen, und das Personal habe dem Mann keinerlei Hilfe angeboten, als dieser zu Boden stürzte. 

Der vermeintliche Täter wurde nach der Vernehmung jedoch umgehend auf freien Fuß entlassen, nachdem das Gericht die Videos gesehen hatte und keine Straftat feststellen konnte, und ist nicht, wie die Ehefrau überall herumposaunte, im Gefängnis. Auch wurde er vom Restaurant nicht entlassen, wie sie in einem weiteren Facebook-Posting (wohl ebenfalls als “Beleg” für dessen Schuld) fälschlicherweise behauptete: “Er ist krankgeschrieben, weil er Depressionen hat und auch Angst vor einer möglichen Rache der Leute”, widerspricht sein Chef.  

“Die Richterin sagte sofort, dass das, was in der Polizeianzeige steht, nicht mit den Videoaufnahmen übereinstimmt”, stellt La Voz de Ibiza klar. 

Wie Restaurantbetreiber Zurita in einem Interview auf Antena 3 erklärte, sei es im Schnellgericht zudem als äußerst unglaubwürdig gewertet worden, dass die Ereignisse des 25. September mit der Einlieferung des Manns ins Krankenhaus am 12. Oktober in Verbindung stehen könnten. 

Laut Schneiders Version habe er durch den Angriff und den Sturz auf den Boden Blutgerinnseln in der Brust erlitten. Aus diesem Grund musste er im Son Espases-Krankenhaus in Palma de Mallorca behandelt werden. Schneider hatte erst im Juli in Deutschland eine neurochirurgische Operation und war seitdem in Behandlung, gesundheitlich also bereits vorbelastet.

“Fast drei Wochen liegen zwischen dem Restaurantbesuch und der Einlieferung. In dieser Zeit kann ihm alles Mögliche passiert sein. Er verließ das Restaurant ohne Hilfe auf zwei Beinen, ohne Verletzungen oder Beschwerden. Sie wollten auch nicht, dass wir einen Krankenwagen rufen”, so Zurita. Der 44-jährige Ecuadorianer lebt seit 18 Jahren auf Ibiza. Vor drei Jahren übernahm er das “Restaurante Cala Martina”. Ihm gehört auch die Cafeteria Extremadura in Es Canar. 

Die Reklamation bestand darin, dass ihnen der Fisch mitsamt Kopf serviert worden war: “Sie sind keine Stammgäste, sonst hätten sie gewusst, dass Zackenbarsch bei uns immer mit Kopf serviert wird. Wir haben Stammkunden, die seit über 30 Jahren kommen. Die haben sich noch nie beschwert.” Grundsätzlich wird Fisch in guten Fischrestaurants in Spanien immer mit Kopf serviert, schließlich soll der Gast an den Augen und den Kiemen erkennen können, ob er fangfrisch ist. 

Jedenfalls kein Grund, nicht bezahlen zu wollen, zumal die Teller in diesem Fall komplett leer gegessen waren, wie man auf den Videoaufnahmen ebenfalls sieht: “Wenn, dann reklamiert man vorher, aber nicht erst, wenn alles aufgegessen ist.”

Als die Eheleute dem Kellner sagten, dass sie die Rechnung nicht bezahlen möchten, sie jedoch kein englisch können und mit jemandem sprechen wollen, der deutsch kann, kam der Koch an den Tisch, der ihnen auf deutsch erklärte, dass die Fischplatte völlig in Ordnung war. Wie man im Video sieht, eskaliert die Diskussion erst, als der Münchner vom Tisch aufsteht und den Koch an den Schultern packt. Aus Reflex drückt der Koch die fremden Hände und den Mann von sich. Dieser fällt rückwärts über einen Stuhl. 

“Wir haben ihm sofort aufgeholfen und gefragt, ob es ihm gut geht. Da nahm seine Frau einen leeren Teller vom Tisch, um ihn auf den Koch zu werfen”, erinnert sich Zurita. Im Video sieht man auch, wie sich der Koch sofort nach dem Übergriff aus der Schusslinie ängstlich hinter die Bar begibt. Wenige Minuten später verlassen die insgesamt vier Personen, die zu Tisch saßen, das Restaurant – ohne zu bezahlen. Offen waren knapp 180 Euro. Wie man im Video klar sieht, ist Peter Schneider zu diesem Zeitpunkt in bester Verfassung, es wird sogar gelacht. 

Es handelte sich also keinesfalls um einen “gewalttätigen Angriff” des Kochs, wie es in der Anzeige und in diversen Medienberichten heißt. Er brüllte die Gäste auch nicht an, sondern sprach ganz ruhig. Er schubste den Gast nicht und schlug ihn zu Boden, wie behauptet, sondern stieß dessen Arme in einem Akt der Selbstverteidigung von sich. “Gut, dass wir alles aufgezeichnet haben. Die Videos haben uns gerettet”, so Zurita.

Nicht wieder gutzumachen ist jedoch der Imageschaden, den das Restaurant seitdem erlebte. Es hagelte Hasskommentare und schlechte Rezensionen im Internet und Stornierungen von Tischreservierungen. Ob er gegen das Ehepaar nun seinerseits juristisch wegen Betrugs, Diffamierung und übler Nachrede vorgehen wird, behält sich Zurita vor: “Wir besprechen das gerade mit unserer Anwältin. Ich finde das alles sehr mies und sehr unerfreulich”, sagt er.

Text: Friederike Diestel
Video & Foto: Tommy Igiel / Ibiza Inside


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