9 bis 17 Uhr statt Siesta: Bricht Spanien mit einer Jahrhunderte alten Tradition?

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9 bis 17 Uhr statt Siesta: Bricht Spanien mit einer Jahrhunderte alten Tradition?
Bild: KI

In mehreren Regionen Spaniens vollzieht sich ein kulturell und wirtschaftlich spannender Wandel: Immer mehr Geschäfte in Küstenstädten wie Alicante, Málaga, Granada oder entlang der Costa Blanca verabschieden sich vom traditionellen „Jornada Partida“ und übernehmen durchgehende Öffnungszeiten von 9 bis 17 Uhr. Diese Anpassung zielt vor allem auf die wachsende britische Expat-Gemeinschaft ab, die mit dem durchgehenden Arbeitstag vertrauter ist als mit der klassischen langen Siesta-Pause.

Von der Siesta zum Non-Stop-Shopping

Spaniens Einzelhandel war jahrzehntelang vom geteilten Arbeitstag geprägt: vormittags geöffnet, dann eine mehrstündige Mittagspause, bevor die Geschäfte bis in den späten Abend hinein erneut öffnen. Dieses Modell entspricht dem heißen Klima und dem stark familienorientierten Lebensstil. Doch der zunehmende Einfluss internationaler Kunden – allen voran britischer Rentner und Telearbeiter – bringt Bewegung in diese Tradition.

Supermärkte, Baumärkte und sogar Tierkliniken testen ununterbrochene Öffnungszeiten. Für viele Unternehmer zählt dabei ein einfacher Grund: Wer nachmittags geschlossen hat, verliert potenzielle Umsätze.

Stimmen aus der Praxis

Ein Tierklinik-Besitzer aus Granada erklärte:
„Viele unserer Kunden sind britische Ruheständler. Seit wir durchgehend von 9 bis 17 Uhr geöffnet haben, bedienen wir mehr Menschen und sparen sogar Kosten, da wir keine langen Mittagspausen mehr finanzieren müssen.“

Auch die Mitarbeiter profitieren teilweise: Arbeitstage enden früher am Abend, Übermüdung durch späte Schichten wird reduziert. Zudem verteilen sich Kundenbesuche gleichmäßiger über den Tag.

Kulturelle Spannungen und Kritik

Kritiker sehen jedoch Gefahren. Die Siesta sei mehr als eine Tradition – sie sei eine pragmatische Antwort auf Hitze, ein Anker für Familienleben und soziales Miteinander. Durchgehende Arbeitszeiten könnten mit Kinderbetreuung und gemeinsamen Mahlzeiten kollidieren.

Darüber hinaus warnen Experten vor einem „Little Britain“-Effekt: Wenn sich Küstenregionen zu stark an die Gewohnheiten von Expats anpassen, könnten lokale Bräuche und Identität verdrängt werden. Andererseits deuten Trends darauf hin, dass auch viele junge Spanier einen ununterbrochenen Arbeitstag bevorzugen – vielleicht also ein natürlicher Modernisierungsschritt?

Zwischen Wirtschaft und Identität

Für britische Expats und Touristen ist der Wandel ein willkommenes Signal der Integration. Für Ladenbesitzer bleibt jedoch die Kernfrage: Mehr Umsatz und zufriedene Kunden oder Verlust einer kulturellen Eigenart?

Die Entwicklung zeigt das fragile Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Anpassung und der Bewahrung spanischer Lebensart. Ob der 9-5-Trend sich dauerhaft durchsetzt, wird letztlich davon abhängen, wie stark die lokale Bevölkerung diesen Rhythmus akzeptiert – oder ob die Siesta trotz allem weiterlebt.

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